41. Jour fixe
Dr. Eberhard Schikora ‚Frühe Jahre unter Hammer und Sichel’ (1948-51)
und
Renate Habermaier ‚Die Reise nach Weimar’
im Kontext zu F.C. Delius ‚Der Spaziergang von Rostock
nach Syrakus’
Grenzerfahrung mit einem unfreien Land (1985)
20. März, 20 Uhr Erlebnisse von Zeitzeugen in der
Buchhandlung und Galerie Böhler, Bensheim.
Die 41. Jour fixe Veranstaltung der Buchhandlung
und Galerie Böhler ist in die überregionale Veranstaltungsreihe
"1 Buch im Dreieck" – F.C. Delius "Spaziergang von Rostock
nach Syrakus" eingebunden. Die Romanidee von Delius greift auf den
Privatgelehrten, Hauslehrer, Schriftsteller und Reisenden Johann Gottfried
Seume zurück, der vom sächsischen Grimma (bei Leipzig) einen
‚Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802’ unternommen hatte. Seine Reise
– weitgehend zu Fuß – war keine Bildungsreise, sonder im Wesentlichen
eine politische Reise, die von dem Republikaner unternommen wurde, um
die Lebensumstände der verschiedenen Nationen zu ergründen.
Delius lässt seinen ‚Privatier’ und Schiffskellner Gompitz von Stralsund
aus Rügen umfahren und dabei Beobachtungen sammeln, um über
die Ostsee in den Westen zu gelangen. Er will in den 80er Jahren auf Grund
von Seumes Lektüre nach Syrakus – und dann wieder in die DDR zurück.
Ganz anders das Schicksal unserer Protagonisten. Beide arbeiten seit Jahren
in der ‚Lyrik und Prosawerkstatt Bensheim’ mit – beide beziehen sich auf
eigene, hautnahe Erlebnisse, die zu unseren Lebensumständen der 2.
Hälfte des 20. Jahrhunderts zählen.
Eberhard Schikora, Chemiker und zuletzt Bibliotheksleiter
und Patentsachbearbeiter der Ciba in Lautern, greift auf Einschnitte der
frühen Jahre der ‚DDR’ zurück, die ihn bei der russischen Wismut-AG
rekrutierten, sein Leben zwangsweise in Bahnen lenkte, die ihn schließlich
1951 zum Verlassen der DDR zwangen. Nicht eine versteckte Reise-Sehnsucht
war entscheidend, sondern fehlende Entfaltungsmöglichkeiten eines
jungen Menschen, dessen Ideale an der gesellschaftlichen Wirklichkeit
zu zerbrechen drohten.
Im Gegensatz dazu der Bericht von Renate Habermaier:
als Lyrikerin mit der Veröffentlichung ‚Lyrische Gedanken- Alte und
neue Heimat’ (2004) literarischen Kreisen bekannt, versucht sie dem Mythos
Weimar auf die Spur zu kommen. Bis 1989 war es fast unmöglich, ohne
Verwandten-Einladungen oder politische Veranstaltungen Orte der DDR zu
besuchen. Die Autorin schildert in ihrem Essay, wie nicht einmal eine
Einladung zu den sommerlichen Musikkursen in Weimar die ersehnte Reise
ermöglichte. So blieb ihr nur die damals illegale Abfahrt von der
Autobahn in die Klasssikerstadt übrig – dieses Abenteuer im Jahre
1985 ist für uns heute schwer nachvollziehbar – wenn man es nicht
selbst auf eine oder andere Weise erlebt hat.
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